Warenkorb

Sie haben keine Artikel in Ihrem Einkaufswagen.
6

Episode

Martin Janner // Wald und Wirtschaft

Der Baumschreiber

Martin Janner ist Förster. Er braucht ein gutes Gedächtnis, Fantasie und Weitsicht, muss die Geschichte seiner Bäume kennen, um ihre Zukunft zu sichern. Janner führt deshalb Buch. Seit 26 Jahren schreibt er auf, welche Arbeiten seine Forstwirte an welchem Tag in welchem Waldstück verrichten. Jeder Einsatz wird notiert, in Codes, die nur der Förster selbst versteht

Herr Janner, der Wald ist Ihr Arbeitsplatz, oft haben die Bäume neonfarbene Zeichen. Schreiben Förster auch auf Holz?

Aber ja! Und das ist eine Kunst für sich. Dafür braucht man eine Spraydose mit Försterfarbe und eine ausgeprägte Graffiti-Eignung. Im Ernst: Wie ein anständiger Graffitikünstler lege ich Wert darauf, dass andere im Wald meine Handschrift erkennen. Ästhetik spielt eine große Rolle. Wenn ich mal Praktikanten Bäume markieren lasse, springen mir deren Zeichen noch tagelang unangenehm ins Auge.

Mussten Sie üben, um schön auf Bäume zu schreiben?

Man muss den richtigen Abstand finden zwischen Baum und Düse und einen gewissen Schwung entwickeln. Hat man den raus, machen manche Zeichen großen Spaß. Am liebsten mag ich das B und das R, wegen der großzügigen Rundungen. Das R male ich an die Rückegassen, auf denen die Forstmaschinen fahren.

Wofür braucht es Ästhetik im Wald?

Für die Menschen, die ihn besuchen. Wer in den Wald geht, sucht Naturgenuss. Und ich sorge dafür, dass dieser Genuss wenig gestört wird. Ich habe ein paar Kniffe entwickelt, um möglichst diskret zu sprühen. Bäume unter Naturschutz zum Beispiel, die wir eigentlich weiß markieren sollen, bemale ich in Dunkelblau, denn diese Farbe erregt keine Aufmerksamkeit. Die findet nur, wer danach sucht.

Schreiben alle Förster dieselben Zeichen, oder entwickelt jeder sein eigenes System?

Nach einer Weile prägen sich wohl bei uns allen ein paar Eigenheiten heraus. Ich habe mir angewöhnt, Holzpolter mit mehr als einer Nummer zu versehen. Holzpolter sind die Stapel am Waldweg, die zur Abfuhr bereitliegen. Ich schreibe immer auch die Heimatgemeinde und die Waldabteilung darauf, also den genauen Herkunftsort. Das ist meine Art, diesem Holz die letzte Ehre zu erweisen. Das ist schöner als einen Barcode draufzutackern. Für mich drückt sich in der Handschrift der Respekt aus, den wir Forstleute vor dem Rohstoff Holz haben.

Mit dem Werkstoff Papier fühle ich mich als Forstmensch sehr verbunden.“

Denken Sie bei der Arbeit darüber nach, was aus dem Holz wird, das Ihre Wälder verlässt?

Unbedingt. Und gerade mit Papier fühle ich mich als Forstmensch sehr verbunden. Das hat auch eine sinnliche Komponente: Ich weiß, wie ein frisch gefällter Baum riecht, ich weiß wie es bei der Zellstoffherstellung und neben einer Papierwalze riecht, und wenn ich einen Buchladen betrete und den Geruch wahrnehme, schließt sich für mich ein Kreis. Papier ermöglicht mir also auch eine sinnliche Erfahrung, beim Lesen wie beim Schreiben.

Schreiben Sie viel auf Papier?

So viel wie möglich. Gedankenstützen, Termine, Aufgaben – ich bin eben ein alter Knopf, Computer bedeuten für mich Entsinnlichung, sie engen mich ein. Beim Schreiben auf Papier dagegen fließen die Gedanken frei vom Hirn in die Hand. Seit 26 Jahren fülle ich Notizbücher mit allen Vorgängen, die in meinem Revier ablaufen. Da steht für jede Waldabteilung drin, welcher Mitarbeiter an welchem Tag welche Arbeit verrichtet hat. Wie viel Material, zum Beispiel junge Pflanzen, er gebraucht hat oder was noch fehlte.

Was machen Sie mit Ihren Notizbüchern?

Die sammle ich. Sie sind mein persönliches Archiv und stehen alle neben meinem Schreibtisch im Regal. Das Fach ist mittlerweile proppenvoll. Ich muss mir jetzt was Größeres suchen…

Blättern Sie manchmal in den alten Aufzeichnungen?

Ich liebe das! Manchmal ergeben sich ja Fragen zu bestimmten Waldbeständen. Was haben wir damals gemacht, dass es so gut gelungen ist oder eben nicht? Das steckt alles in den Codes und Kürzeln in meinem Notizbuch. Die verstehe allerdings nur ich.

Ich darf einen Beruf ausüben, in dem ich dank Handschriften über Jahrzehnte mit den Menschen verbunden bin, die vor mir in diesen Wäldern gewirkt haben.“

Sie haben einen Geheimcode? Geben Sie uns ein Beispiel, bitte? 

Naja, ein simples vielleicht: Rett1 HE W8. Das ist Abteilung 1 im Wald der Gemeinde Rettershain, da fand eine Holzernte statt, und mein Mitarbeiter Wolfgang hat dabei acht Stunden gearbeitet. 

Haben Sie im Wald immer ein Notizbuch dabei? 

Ja, und so sieht es dann auch aus. Wenn es regnet, bekommt es Wasserflecken. Oft hinterlasse ich Fingerabdrücke mit Moos oder Erde. Manchmal klappe ich ein älteres Buch auf, und es liegen Laubblätter drin oder tote Insekten. Die dürfen alle gern drinbleiben. Wenn ich Jahre später diese Dinge sehe und meine Aufzeichnungen lese, dann weiß ich ganz genau, was los war an dem Tag. Und das hat sicher auch mit dem Notieren zu tun. Es verknüpft die Information mit der Situation.

Gibt es eine forstliche Normschrift? So wie bei Architekten?

Früher gab es die, da mussten angehende Förster spezielle Lehrgänge absolvieren. Schließlich schrieben sie vieles auf, was andere Menschen entziffern mussten, auch Karten. Ich habe für mein Revier noch eine Forstbetriebskarte von 1887, die wurde komplett per Hand beschriftet. All meine Vorgänger haben ihr noch etwas hinzugefügt. Wenn ich diese Karte in die Hand nehme, bin ich jedes Mal gerührt.

Was rührt Sie daran?

Ich spüre die Verbindung zu diesen Menschen, weil ich ihre Handschrift erkenne. Meinen direkten Vorgänger zum Beispiel habe ich sehr geschätzt, er ist leider schon lange verstorben. Vor einer Weile musste ich in seinen Lohneintragungen aus den Fünfzigern recherchieren, und als ich seine Schrift sah, war er mir wieder ganz nah. Das ist für mich das Schöne: Ich darf einen Beruf ausüben, in dem ich dank Handschriften über Jahrzehnte mit den Menschen verbunden bin, die vor mir in diesen Wäldern gewirkt haben.

Martin Janner

Martin Janner, Leiter des Forstreviers Oberwallmenach in Rheinland-Pfalz, 2023 wurde er zum »Förster des Jahres« ernennt. In seinem Buch »Der Wald der Zukunft« (Piper Verlag, 2023), plädiert er für eine nachhaltige und artenreiche Waldwirtschaft. Schon mit 14 Jahren wusste Janner, dass er Förster werden will. Die rund 1.500 Hektar Kommunalwald betreut Janner seit 26 Jahren: »Ich habe versprochen, mich um diesen Wald zu kümmern, und das mache ich, solange man mich lässt.«



Teilen auf

Autorin Hiltrud Bontrup 

Hiltrud Bontrup ist Journalistin und Försterin. Sie hat als Redakteurin bei der Financial Times Deutschland gearbeitet und als Managing Editor bei dem Modemagazin Harper‘s Bazaar Germany. 2019 hat sie ihre zweite Karriere in der Forstwirtschaft gestartet. Sie lebt in Münster und Berlin.